Seit nunmehr 5 Jahren findet am Amplonius-Gymnasium eine Fahrt in die Gedenkstätte Auschwitz im Rahmen eines Projektkurses statt. Aus unserer Sicht in heute ein solches pädagogisches Angebot wichtiger denn je. Anlässlich des 5jährigen Austauschs ist in diesem Jahr eine besonders große Schülergruppe nach Polen gereist, ein Zeichen für das große Interesse der Schülerinnen und Schüler an einem lebendigen Geschichtsunterricht. Hierin sehen wir einen wesentlichen Auftrag gymnasialer Bildung.
Das Ergebnis ist ein eindrucksvoller, emotionaler und persönlicher Bericht:
Bilder, Fotos, Schaukästen, Besucher mit Headsets, die ihrem Guide von Raum zu Raum folgen. Manche unterhalten sich. Du überlegst, welche Sprachen sie sprechen. Ab und zu ist es schwer voranzukommen, weil irgendjemand dir den Weg versperrt. Du fühlst dich wie in einem Museum. Und dann betrittst du diesen Raum und siehst die Haare. Vor langer Zeit abgeschnitten. Aufeinandergetürmt, meterlang, mittlerweile vielfach verfilzt. Ganz in der Nähe ein Raum voller Schuhe. In allen Größen, auch Kinderschuhe, schlichte und aufwendig gefertigte. Manche kaputt, andere sehen fast neu aus. Du fragst dich: Wessen Haare sind das? Wem gehörten die Schuhe? Spätestens jetzt wird dir klar, dass du nicht nur in einem Museum bist, sondern an einem Ort, an dem Menschen vor etwa 75 Jahren alles genommen worden ist. Den meisten auch ihr Leben. Du bist im Stammlager: Auschwitz I. Heute,
zusammen mit Birkenau (oder Auschwitz II), eine Gedenkstätte, zur Zeit des Nationalsozialismus‘ das größte Konzentrations- und Vernichtungslager. Schätzungen zufolge sind hier und in den Nebenlagern etwa 1,1 Millionen Menschen, hauptsächlich jüdischer Abstammung, ermordet worden.
Zum fünften Mal nahmen im März dieses Jahres 37 Schülerinnen und Schüler des Amplonius-Gymnasiums an der Studienfahrt in die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau teil. Neben der Besichtigung der Stadt Auschwitz, in der vor dem Zweiten Weltkrieg der Großteil der Einwohner jüdisch war, und dem Besuch der dortigen Synagoge standen Führungen durch die ehemaligen Lager Auschwitz und Birkenau, Workshops, ein Zeitzeugengespräch und eine Fahrt nach Krakau auf dem Programm. Ein Touristenbesuch? Tatsächlich ist die Gedenkstätte, glaubt man „Tripadvisor“, eine der beliebtesten „Aktivitäten“ in Polen. Entsprechend auch das Verhalten einiger Besucher: Laute Gespräche, Lachen, Selfies vor dem Tor mit der Aufschrift „Arbeit macht frei“. Darf man das? Und warum ist man selbst eigentlich da? Fragt man die Schülerinnen und Schüler, antworten sie, sie seien auf der Suche nach Antworten: Wie war Auschwitz möglich? Wieso wurde der Holocaust nicht verhindert? Warum haben so viele weggeschaut? Eines wird schnell klar: Zu wenige Menschen haben zu wenig Verantwortung für ihre Mitmenschen übernommen. Die Gründe mögen vielfältig gewesen sein, einer davon vermutlich mangelnde Betroffenheit. Und hier setzt der Gedenkstättenbesuch an.
An den Wänden hängen die Fotos, die von den Häftlingen bei der Einlieferung gemacht worden sind, nachdem sie geschoren und tätowiert worden sind und sie ihre Alltags- durch die gestreifte Häftlingskleidung eintauschen mussten. Du siehst in verunsicherte, ängstliche, aber auch trotzige Gesichter. Darunter der Name, das Einlieferungs- und Sterbedatum. Viele lebten nur wenige Wochen. In Block 21 sind Kinderzeichnungen an der Wand: Prügelnde SS-Männer, Menschen, die am Galgen hängen. In Birkenau gehst du denselben Weg, den Hunderttausende gegangen sind, von der „Rampe“, an der die Selektionen stattfanden, zu den Gaskammern, die kurz vor Ende des Krieges von der SS zerstört worden sind. In der „Sauna“ dann eine Ausstellung von Fotos, die nach der Befreiung gefunden worden sind: Paare, Kinder, Familien. Menschen, die in die Kamera lächeln. Menschen wie du und ich. Dir wird klar: Du kannst den Holocaust nicht begreifen. Und du kannst ihn auch nicht ungeschehen machen. Aber du kannst Verantwortung übernehmen, damit in Zukunft Ausgrenzung und Entrechtung nicht wieder zum politischen Programm werden. Das ist heute wichtiger denn je.